'"Seit es Lichtspiel gibt', schreiben Adorno und Eisler in ihren Überlegungen zur Komposition für den Film, 'ist es musikalisch begleitet gewesen. Das reine Lichtspiel muß gespenstisch gewirkt haben ähnlich wie das Schattenspiel–Schatten und Gespenst haben von je zusammengehört. Die ‚magische' Funktion der Musik [...] muß darin bestanden haben, die bösen Geister in der unbewußten Wahrnehmung zu beschwichtigen. Die Musik wurde gleichsam als Gegengift gegen das Bild eingeführt. Da der Film ursprünglich mit Jahrmarkt und Vergnügen als Vorformen des heutigen kalkulierten Wirkungszusammenhangs verbunden war, hat man dem Zuschauer das Unangenehme ersparen wollen, daß die Abbilder lebendiger, agierender und gar redender Menschen vorgeführt werden, die doch zugleich stumm sind. Sie leben und leben zugleich nicht, das ist das Geisterhafte, und Musik will weniger ihr fehlendes Leben surrogieren - dazu gibt sie sich erst bei völlig ideologischer Planung her -, als vielmehr die Angst beschwichtigen, den Schock absorbieren. Kinomusik hat den Gestus des Kindes, das im Dunkeln vor sich hinsingt.' Die Stille in Mathias Polednas jüngster Filmarbeit Version (2004), einem 16-mm-Schwarzweißloop, gibt dem Film seine Unheimlichkeit zurück und läßt seine Gespenster tanzen: Eine Gruppe junger Tänzer und Tänzerinnen bewegt sich unaufgeregt und mit stoischer Mine zu Rhythmen, die wir nicht hören, und in einem Raum, den wir nicht lokalisieren können. In seinem undurchdringlichen Schwarz scheint er ohne Tiefe und ohne Zeit zu sein; ein eigentümliches Zwischenreich, in dem es nichts gibt denn ein ewig sich wiederholendes Bewegungsexerzitium; ohne Richtung, ohne Anfang, ohne Ende. Sofern man es überhaupt hört, scheint auch noch das entfernt surrende Geräusch des Projektors jener geisterhaften Sphäre anzugehören, jener mechanisch reproduzierten und projizierten Welt, von der wir nur oberflächlich betrachtet in erster Linie räumlich getrennt sind; die eigentliche Grenze aber stellt nicht die Leinwand, sondern die Zeit.(Juliane Rebentisch)
Im Zentrum der Ausstellung von Mathias Poledna in der Galerie Daniel Buchholz steht die etwa zehnminütige Filmarbeit 'Version' (2005). Die ohne Ton im abstrakten Settting einer Studio-Stage in Los Angeles aufgenommene Sequenz entfaltet sich in eng kadrierten Kameraeinstellungen, die zumeist lediglich Fragmente der Körper der Performer zeigen und diesen eine quasi-skulpturale Präsenz verleiht. Ihre Bewegungen changieren zwischen alltäglichen, improvisiert erscheinenden Tanzbewegungen und wenigen, äusserst reduzierten choreographischen Mustern, die den vermeintllich uninszenierten Charakter des Geschehens unterlaufen. Im Hintergrund dieser auf den ersten Blick einfachen szenischen Folge entfaltet sich ein Reichtum an Bezügen, die von den Bewegungsstudien von Edweard Muybridge und Étienne-Jules Marey aus dem späten 19. Jahrhundert, über experimentelle Filme von den zwanziger bis zu den sechziger Jahren, bis hin zur Entwicklung minimalistischer Ästhetiken im Grenzbereich von Bildhauerei und Tanz der sechziger Jahre reichen.
Im zweiten Raum der Galerie sind Vitrinen-Arbeiten zu sehen, die sich zwar gleichermaßen als 'museale' Geste, auf einige der oben genannten Aspekte des Films beziehen, aber bewußt auch Distanz herstellen. Es handelt sich um zwei Vitrinen, in denen Schallplattencover des US-amerikanischen Labels Folkways präsentiert werden. Das Label Folkways hatte in der Zeit seines Bestehens, von 1948 bis 1986, über 2000 Tonträger produziert, die von traditioneller ethnischer Musik, Literatur, Folkmusik, bis hin zu wissenschaftlich-experimentellen Aufzeichnungen und dokumentarischen Field Recordings reichten. Intention des Labels, dessen Bestände nach seinem Ableben in die amerikanische Library of Congress eingingen, war es, nach seinem Gründer Moses Asch, eine Enzyklopädie der 'gesamten Welt der Töne' zu erstellen.
Polednas methodische und form-ästhetische Recherchen zum Zusammenhang von Archiv und Subjektivität machen letztere zu Gegenständen einer hochgradig stilisierenden Kunst, ohne dass je die entstehende Spannung zwischen Zeitlosigkeit und Historizität unterschlagen würde. Durch eine extreme Reduzierung erzählerischer Momente auf die Struktur des Loops und die systematische Enttäuschung von Erwartungen an eine realistische Repräsentation von Geschichte setzt er sich dem Vorwurf aus, das Historische im Ästhetischen aufzulösen. Dabei verhält es sich viel eher so, dass Polednas Installationen auf eine Krise der Begriffe von Geschichte und des prekären Status des historischen 'Ereignisses' reagieren, von dieser Krise ausgehen. (Tom Holert)
Im Gegensatz zu dem Film Version, der ausschließlich im Rahmen von Ausstellungen gezeigt wird, ist der Kurzfilm Sufferers' Version (2004) speziell für die einmalige Präsentation in einem Kino oder sonstigen Filmvorführungsort konzipiert. Der Film basiert auf Material, das während der Dreharbeiten zu Version entstand und ist solchermassen selbst eine Version. Sein Titel bezieht sich auf das Genre der Musik, die der Szene unterlegt ist, einem jamaikanischen Sufferers' Song von Junior Delahaye, der gegen Ende der siebziger Jahre aufgenommen und Anfang der achtziger Jahre erstmals veröffentlicht wurde. In einer einzigen, statischen Einstellung zeigt der Film ein minimalst choreographiertes Tanz-Fragment, das gleichermassen als Probeszene, Testaufnahme, Versuchsanordnung oder auf seine elementarsten Bestandteile reduziertes Musical erscheint. Sufferers' Version wird in einem von Mathias Poledna kuratierten Programm gemeinsam mit Meditation on Violence, einem Film von Maya Deren aus dem Jahr 1948, und Adebar aus dem Jahr 1957 von Peter Kubelka gezeigt.
Anlässlich der Ausstellung erscheint ein von Mathias Poledna gestalteter Katalog mit einem Essay von Juliane Rebentisch, der am 25. April im Anschluss an das Filmprogramm präsentiert wird. Am 28. April eröffnet eine Einzelausstellung von Mathias Poledna im Witte de With, Center for Contemporary Art in Rotterdam.
Press release courtesy Galerie Buchholz.
Neven-DuMont-Str. 17
Cologne, 50667
Germany
www.galeriebuchholz.de
+49 221 257 4946
+49 221 253 351 (Fax)
Tues - Fri, 11am - 6pm
Sat, 11am - 4pm