'Ihre Berührung – beim Pellen des Eis – ist ihrerseits ein wenig mehrdeutig, eine Art grausamer Liebkosung (man stelle sich nur einmal vor, man wäre selbst ein Ei, dem man die Haut vom Körper pellt!).' Ewa Lajer-Burcharth, Auszug aus einem im Juli 2010 in Frankfurt gehaltenen Vortrag über Chardin
'Die strengen Zwänge und Forderungen von Objekten'–so beschreibt Bruno Latour in seinem 1991 veröffentlichten Aufsatz 'Der Berliner Schlüssel. Erkundungen eines Liebhabers der Wissenschaften', dem sich der Titel der vorliegenden Ausstellung verdankt, sein Forschungsgebiet.
Wie den meisten Berlinern bekannt sein dürfte, verfügt der Berliner Schlüssel über zwei an beiden Seiten symmetrisch angebrachte Bärte und wurde ursprünglich zum Abschließen der Außentüren Berliner Mehrfamilienhäuser entwickelt. Dazu steckt man ihn zunächst ins Schlüsselloch, dreht ihn zum Aufschließen um 270 Grad, schiebt ihn anschließend durch das Schlüsselloch, zieht ihn auf der anderen Seite heraus, um die Tür von Innen wieder abzuschließen. Der Berliner Schlüssel ist ein Beispiel für eine Materialisierung des Disziplinarbefehls, ständig die Tür hinter sich abzuschließen, die Latour als Handlungsprogramm bezeichnet.
Was wäre ein Gemälde, wenn es wie der Berliner Schlüssel programmiert wäre? Es würde schroff darauf bestehen, dass man etwas mit ihm anfängt und mit seiner Hilfe ein bestimmtes Ziel erreicht, dies jedoch ausschließlich entsprechend seiner eigenen Logik. Die Bilder der Ausstellung Berliner Schlüssel sollen in derselben Weise intervenieren, einige von ihnen sind sogar so angelegt, dass sie bei bestimmten Menschen eine bestimmte Wirkung erzielen. Zu einem Zeitpunkt, da elektronische Passcode-Systeme nach und nach den Berliner Schlüssel verdrängen (und vielleicht analog dazu das Modell einer schnellen Dekodierung zunehmend die Betrachtung von Kunst und das Sprechen über sie prägt), stellen diese Bilder allerhand Ansprüche. Sie können sich geradezu wie Diven aufführen.
David Joselit schreibt, Koethers Werk sei “Painting besides itself”. Das manierierte Gedankengebäude von Berliner Schlüssel einschließlich der vielfältigen Bezüge zur Berliner Geschichte und Architektur sowie zu einzelnen Kunstwerken aus Berliner Museen (darunter ein Poussin-Selbstbildnis aus der Sammlung der Alten Gemäldegalerie und eine ägyptische Skulptur aus dem Neuen Museum), aber auch Koethers eigene vergangene Ausstellungen, der Galeriezusammenhang und ganz konkret die Räume, in denen die vorliegenden Arbeiten gezeigt werden, schaffen einen maximal aufgeladenen Ort, in dem sich womöglich ein gewisser “Durst nach Ästhetik”, wie sie es kürzlich einmal nannte, stillen lässt. Dies gelingt ihr zum Teil, indem sie die Bilder von den Galeriewänden nimmt.
Ein derartiger Anspruch erzeugt Reibung–wenn wir lachen, dann weil Koether sich als Feministin die Kraft des seriös Unseriösen zunutze macht. Wenn wir uns vorbeugen, um im grauen Licht, das durch die Fenster einer eleganten Berliner Wohnung einfällt, die übrigens niemals uneleganter wirkte, einfühlsam die Oberfläche eines Gemäldes nach Chardin, Francis Bacon, Frans Snyders, Bronzino oder einem römischen Fresko in Boscoreale zu inspizieren, so wird unser Blick vermutlich auf irisierende Farbe fallen.
Press release courtesy Galerie Buchholz. Text: Michael Sanchez.
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